Hallo liebe Buchfreunde,
heute stelle ich euch die zweite Geschichte meiner Reihe "Polaroidgedanken" vor. Hierbei handelt es sich um eine Kurzgeschichte, die ich neulich geschrieben habe und die ich Euch nicht vorenthalten wollte. Sie trägt den Namen "The Girl next Door".
Ich
bin der Meinung, dass jede Person, die wir im Laufe unseres Lebens treffen,
eine Bedeutung hat. Zufälle gibt es nicht. Ich glaube nicht an Gott oder Karma,
aber ich glaube an Schicksal. Und Schicksal war es mit Sicherheit, dass an
meinem siebten Geburtstag in das Haus direkt neben uns, das zuvor Monate lang
leer gestanden hatte, wieder eine Familie einzog.
Es war
ein schöner Junitag, als der Umzugswagen vorfuhr. Ich war mit meinen Freunden
im Garten, wo meine Eltern einen langen Tisch aufgebaut hatten. Wir spielten
Topfschlagen und „Blinde Kuh“ und meine Eltern hatten mir ein Fußballtor
geschenkt, das wir anschließend einweihten. Der große Wagen jedoch weckte unser
aller Aufmerksamkeit.
Unser
Grundstück war vom Nachbargrundstück durch einen Holzlattenzaun abgegrenzt,
über den Wir zu dieser Zeit noch nicht sehen konnten. Als meine Eltern jedoch
einmal nach drinnen gegangen waren, nutzten wir Jungen die Zeit, um gegenseitig
auf die Schultern der anderen zu klettern und über jenen Zaun zu spähen.
Die
Familie hat eine Tochter in meinem Alter, die so wie ich ein Einzelkind ist. Da
wir beiden die einzigen Kinder in der Straße sind, hätten wir eigentlich
schnell Freunde werden müssen, doch dem war nicht so. Lange Zeit hatte ich
nicht einmal ihren Namen gekannt, bis ich einmal hörte, wie sie von ihrer
Mutter „Stella“ gerufen wurde.
Obwohl
ich in den nächsten Tagen nach dem Einzug regelmäßig mit meinem besten Freund
Noah draußen auf der Straße auf einem alten Skateboard gesessen und gehofft
hatte, dass Stella sich eines Tages zu uns setzen würde, ließ sie sich nicht
bei uns blicken. Was sie tat, das wusste ich nicht, doch es dauerte nicht
lange, bis ich sie regelmäßig mit zwei Mädchen aus dem Dorf sah. Von da an
schrumpfte langsam meine Hoffnung, mich mit ihr anzufreunden, bis wir im
September auf die gleiche Schule kamen.
Noah
reißt mich aus meinen Gedanken, als er neben mir den Spind zuschlägt. Seine
Bücher hat er unter dem Arm, ich stehe noch immer an meinem Schrank und starre abwesend hinein. Mir ist entfallen, was
ich tun wollte und welche Bücher ich jetzt brauche, doch Noah hilft mir. Er
reicht mir mein Mathebuch und schließt dann den Spind ab. Wissend lächelnd
klopft er mir auf die Schulter und schiebt mich den Gang hinab.
„Wer
zaubert dir ein Lächeln ins Gesicht?“, fragt er mich dann, während wir
gemeinsam auf unseren Klassenraum zusteuern.
„Als
wüsstest du das nicht“, seufze ich.
Genauso
wie ich hat Noah es nie gewagt, Stella anzusprechen. Anfänglich interessierten
wir uns auch nicht sonderlich für sie. Sie war ein Mädchen und spielte mit
ihren Freunden im angrenzenden Garten, während wir Jungs bei mir zu Hause
Fußball spielten.
Noah
klopfte mir erneut auf die Schulter und wir betreten gemeinsam unser
Klassenzimmer. Wir sind spät dran, doch wir schaffen es, vor unserem Lehrer
durch die Tür zu schlüpfen.
Ich lasse
meine Tasche auf meinem Platz in der ersten Reihe nieder und Noah gesellt sich
zu mir.
Stella
war nie mit mir in einer Klasse gewesen. Wir waren viele Kinder in meinem
Jahrgang und selbst, als wir auf die High School kamen, schaffte ich es nie,
einen Kurs so zu belegen, dass ich ihn mit Stella teilte.
Mathematik
zählte nie zu meinen Lieblingsfächern, obwohl ich nicht schlecht darin war.
Generell war ich recht gut in der Schule, was verwunderlich war, da ich die
meiste Zeit meinen Gedanken hinterher hing. Stella war allgegenwärtig und
während Noah und meine Klassenkameraden sich mit Algebra, Chemie und Englisch
beschäftigten, dachte ich an sie.
Als
sie das erste Mal aus dem Auto ihrer Eltern stieg, trug sie ihre langen,
blonden Haare offen. Sie hatte hellblaue Augen und ihre gebräunten Beine
steckten in kurzen Shorts. Sie trug ein weißes, ärmelloses Oberteil und eine
Kappe, die sie falsch herum aufgesetzt hatte.
Die
Kappe trug sie den gesamten Sommer, immer wieder. Bald merkte ich, dass ihre
Haare meist zu zwei Zöpfen geflochten waren, was ich traurig fand, da ich ihre
Haare offen viel lieber mochte. Doch es sollte noch eine Weile lang dauern, bis
Stella sich veränderte.
An dem
Tag, an dem wir gemeinsam in der Turnhalle unserer Schule saßen und auf unsere
Einschulung warteten, saß sie nur zwei Plätze von mir entfernt. Sie trug ein
blaues Kleid und ihre Haare offen, was mich freute, denn den ganzen Sommer
hatte ich sie nur ein, zwei Mal ohne die Zöpfe gesehen. Als wir in unsere
Klassen eingeteilt wurden, hoffte ich lange, dass ihr Name direkt nach meinem
aufgerufen wurde, doch dem war nicht so. Wir kamen in getrennte Klassen und ein
ums andere Mal, wenn sie mit ihren Freundinnen an mir im Gang vorbei ging, überlegte
ich, sie anzusprechen, doch sie war nie allein.
Selbst
auf dem Heimweg kam es selten vor, dass sie ohne ihre Freundinnen nach Hause
ging. Sie begleiteten sie bis an die Haustür und verabredeten sich für den
Nachmittag. Ich sah ihnen zu und hoffte, dass eines Tages ihr Blick den meinen
treffen würde. Doch dem war nie so.
Als
die Schulglocke läutet, packten Noah und ich unsere Sachen zusammen und
verließen den Raum.
Auf
dem Gang begegne ich ihr. Stella hält ihre Schulbücher in der Hand, eine Tasche
lässig über die Schulter geworfen. Sie trägt ihre Haare offen und sie fallen
ihr bis weit über die Schulter. Von drei Freundinnen begleitet geht sie an mir
und Noah vorbei, und Noah stößt mich an. Stella jedoch ist im Gespräch und ich
wage nicht einmal ein leises „Hallo“.
Als
Stella verschwunden ist, lacht Noah leise. Ich sehe ihr hinterher, bevor ich
meine Schulbücher in meinem Schrank einschließe und auf meinen Stundenplan sehe.
Es ist noch eine Schulstunde, dann ist der Unterricht beendet. Stella und ihre
Freundinnen werden gemeinsam nach Hause gehen. Ich und Noah werden ihnen
folgen, immer ein paar Schritte hinter ihnen. Wir werden heimlich über sie
reden und Noah wird mich auslachen. Er bewundert sie, jeder Junge tut das.
Einmal hatte ich beobachtet, wie ein kleiner Junge, drei oder vier Jahre jünger
als wir, ihr heimlich seine Telefonnummer zusteckte. Selbst die kleinsten
Jungen verfielen ihrem Charme und auch die Älteren waren nicht davor gefeit.
Stella
hatte ihren ersten Freund mit vierzehn. Ich hatte sie einige Male zuvor
gemeinsam gesehen. Er war Käpt’n der Footballmannschaft und zwei Jahre älter
als sie. Ich hatte gesehen, wie sie in der Mittagspause gemeinsam gegessen
hatten, wie sie gemeinsam lernten und miteinander auf dem Pausenhof lachten.
Bis
dahin hatte ich nicht geglaubt, dass zwischen ihnen mehr als Freundschaft sein
könnte. Dann jedoch war ich eines Tages vor dem Haus gesessen und er hatte an
ihrer Tür geklingelt. Stella hatte ihm geöffnet, sie war ihm um den Hals
gefallen und er hatte sie leicht hochgehoben. Sie waren einfach das perfekte
Paar, das merkte ich sofort, ob ich es wollte, oder nicht. Den Stich im Herzen
habe ich jedoch erst gespürt, als Stella ihm einen Kuss auf die Lippen drückte und
von dem Moment an wusste ich, dass ich sie nicht nur bewunderte, sondern dass
ich sie liebte.
Stella
hatte sich verändert. Es war der Sommer, in dem wir beide dreizehn geworden
waren. Der Winter war kalt gewesen und Stella war mit ihren Eltern im Skiurlaub
gewesen. Ich hatte ihnen dabei zugesehen, wie sie gepackt hatten und dann waren
sie lange Zeit weggewesen. Ich hatte sie vermisst, und als sie zurückgekommen
war, hatte ich weitere Monate auf ihren Anblick verzichten müssen. Die Kälte
hatte Stella dazu gebracht, dicke Winterkleidung zu tragen und die meiste Zeit
im Haus zu verbringen. Von unserer Küche aus konnte ich in ihr Wohnzimmer
spähen. Ich wollte sie nicht beobachten, doch ich konnte nicht anders. Ich sah,
wie sie mit ihren Freundinnen vor dem Kamin saß, wie sie fern sah und wie sie
las.
Als
der Frühling kam, sah ich sie wieder von nahem. Jetzt trug Stella keine
Kleidchen mehr, sie trug kurze Hosen und
enge Tops, hatte lange, glatte Beine und manchmal trug sie Schuhe mit einem
kleinen Absatz. Sie benutzte Wimperntusche, Lipgloss und an ihrem Geburtstag
das erste Mal Lidschatten.
Stella
war zu einer Frau geworden und das war der Moment, in dem die Jungen begonnen,
sie mit anderen Augen zu sehen – so wie ich es tat.
Hatte
ich vorerst in ihr eine potentielle Spielkameradin gesehen, merkte ich jetzt,
dass sie nicht nur geheimnisvoll und sportlich, sondern auch wunderschön und
attraktiv war. Ich hatte schon zuvor gewusst, dass sie gerne turnte. Im Garten
konnte ich sehen, dass sie Handstände und Purzelbäume schlug und bereits mit
neun Jahren war sie in der Lage, den perfekten Spagat zu machen.
Mit
vierzehn ging sie in die Cheerleader-Mannschaft unserer Schule. Ich besuchte
ihretwegen jedes Footballspiel, doch die meiste Zeit war ich von ihren schlanken
Beinen und ihrem muskulösen Bauch, der unter dem kurzen Top zu sehen war,
abgelenkt. Nicht selten musste Noah mir am Ende erzählen, wie es ausgegangen
war, damit ich am nächsten Tag in der Schule wenigstens etwas mitreden konnte.
Als
wir die Middle School abschlossen, wurde Stella zur Ballkönigin gekrönt. Sie
war in Begleitung ihres Freundes auf dem Abschlussball und die beiden stiegen
gemeinsam auf die Bühne. Stella lachte, als sie die Krone überreicht bekam, sie
war bescheiden und sagte ein paar Worte ins Mikro, dankte ihrer Familie und
ihren Freunden und verließ dann unter Jubel wieder die Bühne, ihren Freund an
der Hand. Die beiden waren so perfekt, dass ich einen Hass entwickelte, der
mich erschreckte. Nicht auf Stella, niemals könnte ich sie hassen, aber auf
ihren Freund.
„Willst
du sie für immer anstarren?“, fragt Noah mich und ich schrecke dadurch aus
meinen Gedanken. „Willst du deinen Kindern einmal erzählen, dass du es Jahre
lang nicht gewagt hast, ihre Mutter anzusprechen?“
„Aus
uns wird nie was werden“, entgegne ich energisch. „Stella ist …“
Mir fällt
nichts ein. Jedenfalls ist sie anders als ich. Ich spiele nicht in ihrer Liga.
Ich
habe ein paar gute Freunde, doch ich hänge fast eh nur mit Noah rum. Stella
jedoch kennt jeden. Jeder kennt sie.
Als
ich Noah das erste Mal davon erzählt hatte, wer mein Herz erobert hatte, hatte
er mich mitleidig angesehen. Wir wussten beide, dass Stella unerreichbar war,
zumal hatte sie zu der Zeit einen Freund gehabt.
„Sie
sieht zwar toll aus, aber gut aussehende Mädchen sind immer dumm“, hatte Noah
behauptet. „Sie sind oberflächlich und unfreundlich. Sie halten sich für etwas
Besseres. Glaub mir, Stella ist keine Ausnahme.“
Wir
wussten schon damals beide, dass das nicht stimmt. Stella ist nicht nur hübsch,
sie ist beliebt, gut in der Schule, zuvorkommend und immer freundlich. Die
Lehrer mögen sie, weil sie aufmerksam und höflich ist, die Mädchen sind
neidisch auf sie, doch trotzdem gelingt es Stella, sie zu ihren Freundinnen zu
machen. Sie scheint mit jeder Person auf dieser Schule eine Freundschaft zu
führen, egal ob Mädchen oder Junge. Ich muss der einzige Mensch sein, der es
nie in ihre Nähe schafft.
Ihren
ersten Liebeskummer hatte Stella mit fünfzehn. Ihr Freund hatte sich von ihr
getrennt und durch das Küchenfenster beobachtete ich, wie Stelle im Wohnzimmer
saß und heulte, während ihre Eltern weg waren. Ihre Freundinnen versuchten, sie
aufzuheitern, doch es dauerte lange, bis Stella wieder glücklich war.
In der
Schule war sie weiterhin immer am lachen, aufgeschlossen und aufmerksam und
eine Weile lang fühlte ich mich wie im siebten Himmel, weil ich das erste Mal
das Gefühl hatte, mehr über sie zu wissen, als andere.
Ihr
Ex-Freund hatte ein halbes Jahr darauf wieder eine neue Freundin, ein Mädchen,
das nicht halb so hübsch und intelligent wie Stella war und ich fragte mich,
wie er ein Mädchen wie Stella gegen seine Neue eintauschen konnte. Wenn ich es
auch nur ein einziges Mal schaffen würde, mit Stella ein Gespräch zum Laufen zu
bringen, ich würde nie wieder aufhören, zu reden. Das war vielleicht auch der
Grund, weshalb es ganz gut ist, dass Stella und ich nie wirklich ein Wort
wechseln.
Stella
blieb Single. Unmengen von Jungen standen auf sie und sie bekam wahrscheinlich
mehr Liebesbriefe, als alle anderen Mädchen auf dieser Schule zusammen. Dennoch
ließ sie alle abblitzen. Ein weiterer Grund, weshalb ich es nicht wagte, sie einfach
anzusprechen.
„Du
wirst sie heute noch ansprechen, hörst du?“, fragt Noah mich, als wir uns auf
den Weg in den Englischunterricht machen. „Du bist der coolste Typ, den ich
kenne, sie kann dich gar nicht abweisen.“
Das
stimmt nicht ganz. Stella hatte schon viel coolere Typen abgewiesen und ich
wollte keine Abfuhr von ihr kassieren. Lieber schmachtete ich sie die nächsten
Jahre aus der Ferne an.
Wir
sind sechzehn und es steht fest, dass ich noch sicher zwei Jahre Zeit haben
werde, um ihr verliebte Blicke zuzuwerfen. Da sie neben mir wohnt, werde ich
vielleicht etwas Glück haben und ich werde sie noch ein paar Mal nach der
Schule sehen. Was ich jedoch tun werde, wenn sie aufs College gehen und
wegziehen wird, oder noch schlimmer – wenn sie eines Tages wieder einen Freund
haben und zu ihm ziehen wird – das weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass, solange
Stella sich in meiner Nähe befindet, kein anderes Mädchen in meinem Herzen
Platz haben wird.
„Ich
kann sie nicht ansprechen, Noah, versteh das doch“, bitte ich ihn und sehe mich
um. Ich hoffe, dass Stella nicht in der Nähe ist und unser Gespräch vielleicht
mitbekommt. Würde sie wissen, dass es sich um sie handelt? Sie ist nicht so
eingebildet, als dass sie davon ausgeht, dass alle Jungengespräche sich um sie
drehen. Aber früher oder später wird so doch einen meiner Blicke gesehen und
ihn gedeutet haben?
Eigentlich
muss ich mich nicht schämen. Ich kenne keinen Jungen, der Stella von der
Bettkante stoßen würde. Dennoch ist mir die Vorstelllung peinlich, dass Stella
von meinen Gefühlen für sie erfahren könnte.
Die
letzte Schulstunde vergeht quälend langsam. Die Schulglocke erlöst uns von
unseren Qualen und ich bin als einer der ersten aus dem Klassenzimmer draußen.
Ich weiß, dass Stella den Gang herunter gerade Mathematik hatte und nur kurz
darauf öffnet sich auch die Tür zu ihrem Klassenzimmer. Stella ist eine der
letzten, die das Klassenzimmer verlässt. Sie ist in Begleitung von drei
Freundinnen und macht sich jetzt selbst auf den Weg zu ihrem Spind. Noah und
ich folgen ihr.
Ich
habe gar nicht gemerkt, wie gut sie heute wieder aussieht. Sie sieht immer
fantastisch aus, aber heute trägt sie ein bauchfreies T-Shirt, das sich eng an
ihren Oberkörper anschmiegt und eine enge Jeans die über den Knien auf jeder
Seite einen Riss hat. Ihre Sneakers müssen neu sein. Ich glaube, langsam kenne
ich jedes Teil in ihrem Kleiderschrank und die Schuhe habe ich noch nie gesehen.
Ihre
Haare müssen sie im Unterricht gestört haben, denn sie hat sie jetzt zu einem
Zopf zusammengebunden. Sie hat mir den Rücken zugedreht, sodass ich sie nur von
hinten bewundern kann. Vor den Schränken bleiben die vier stehen. Zwei von
ihnen verabschieden sich von den anderen und verschwinden auf die Toilette,
Stella und ihre Freundin bleiben zu zweit zurück. Kurz darauf taucht ein Junge
aus der Stufe über uns auf und begrüßt Stellas Freundin. Ich weiß, dass es ihr
Freund ist, also ist es nicht verwunderlich, dass sie kurz darauf zusammen
verschwinden.
Mein
Herz setzt einen Moment aus. Stella ist allein und ich bin nur noch fünf
Schritte von ihr entfernt.
Noah
erfasst die Situation ebenfalls und klopft mir auf die Schulter.
„Du
machst das schon“, flüstert er mir leise zu und verschwindet ebenfalls auf die
Toilette. Wie ein Idiot stehe ich allein im Gang, inmitten der Schüler, die
sich ihren Weg zum Ausgang bahnen. Ich setze mich langsam in Bewegung und
bleibe zwei Schritte vor Stella stehen. Sie sieht mich nicht, hat den Blick auf
ihren Spind gerichtet und kramt darin herum. Ich öffne den Mund, um etwas zu
sagen, doch mir fällt nicht einmal ein guter Gruß ein. Ich könnte einfach „Hallo“
sagen. Ein „Hi“ würde es auch tun, falls ich mir etwas Zweisilbiges nicht
zutraue. Es wäre ganz einfach.
Ich
jedoch stehe da wie ein Idiot und sage nichts.
Stella
schließt ihren Spind ab und dreht sich um. Einen Moment fällt ihr Blick auf
mich, sie scheint mich zu erkennen. Jedenfalls, da bin ich mir sicher, kann sie
mich zuordnen. Sie hat mich schließlich auch schon das ein oder andere Mal auf
der Straße vor meinem Haus gesehen. Sie wirft mir ein freundliches Lächeln zu
und schultert ihre Tasche. Wenn ich jetzt nichts sage, dann verschwindet sie
und wer weiß, wann ich die nächste Gelegenheit bekomme. Ich hole Luft und öffne
den Mund.
„Hey.“
Stella
fährt herum. Hinter ihr steht ein kräftiger Typ mit dunklen Haaren, er hat
seine Hände auf ihre Hüften gelegt und bei seinem Anblick legt sein ein Lächeln
auf Stellas Lippen.
„Hey“,
sagt auch sie und stellt sich auf die Zehenspitzen. Kurz darauf werde ich Zeuge
des innigsten Kusses, den ich je gesehen habe. Als die beiden voneinander
ablassen, lächelt Stella breit und in ihren Augen sehe ich, dass sie verliebt
ist. Wirklich verliebt.
Sie
nimmt die Hand ihres Freundes und eine
Sekunde dreht sie sich noch einmal leicht in meine Richtung, offenbar erstaunt
darüber, dass ich noch immer da bin. Nochmal lächelt sie, dann gehen sie
zusammen weg und ich bleibe zurück.
Das
Stechen in meinem Herzen ist mir in der Zwischenzeit bekannt, doch dieses Mal
ist es stärker. Mein Verstand weiß sofort, was Sache ist, nicht so wie bei
Stellas erstem Freund. Er gibt mir keine Pause, er sagt mir sofort, dass ich
sie nie erreichen werde, dass ich nicht gut genug bin.
Stella
ist und bleibt außerhalb meiner Reichweite und ich sehe dem Pärchen zu, wie sie
gemeinsam auf den Ausgang zusteuern.
Ich
schlucke den Kloß im Hals herunter und schultere meine Tasche. Stellas letzte
Beziehung hat ein halbes Jahr gehalten. Ich bin schon seit drei Jahren in sie
verliebt, die letzten sechs Jahre davor schon wusste ich, dass das Schicksal
etwas für uns vorgesehen hat. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich noch
eine Chance bekommen werde.
Vielleicht
in einem halben Jahr, vielleicht erst in einem oder in drei. Aber sie wird
nicht für immer mit diesem Typen zusammenbleiben.
Ich
nehme meine Tasche. Noah kommt von der Toilette und fragt mich, wie es lief.
Ich zucke die Schultern und sorge dafür, dass er nicht sieht, wie Stella und
ihr Freund händchenhaltend vor dem Schulhof stehen, wie sie ihm einen Kuss
gibt. Die beiden sind wirklich süß. Sie sind so verliebt. Ich kann warten, und
das werde ich auch.
Ich
warte lange. Zwei Jahre gehen vorbei und der Abschluss kommt. Stella wird
Ballkönigin, was mich nicht wundert. Wieder erklimmt sie mit ihrem Freund die
Stufen zur Bühne und sie sehen so glücklich aus, wie am Anfang.
Stella
zieht weg, ich gehe aufs College, an Weihnachten besuchen wir beide unsere
Familien und ich sehe durchs Küchenfenster, dass Stella ihren Freund dabei hat.
Wir
schließen das College zur gleichen Zeit ab und feiern am selben Tag mit unserer
Familie, nur einen Garten voneinander entfernt. Ihr Freund sitzt neben ihr,
hält ihre Hand.
Ich
warte.
Ich treffe
Stella auf der Straße, wir nicken uns zu. An ihrer Hand sehe ich einen Ring.
Ich
warte weiter.
Zwei
Jahre darauf an Weihnachten sind sie nicht mehr alleine. Ich sehe aus dem
Küchenfenster, wie Stella mit ihrer Familie Geschenke auspackt. Neben dem Sofa
steht ein Kinderwagen und Stellas Mutter trägt ihr Enkelkind im Arm.
Ich
beginne zu verstehen, dass meine Chance nicht kommen wird.
Doch
ich warte.